Der vom Zürcher Stadtrat beschlossene Abbruch des Globus-Provisoriums gibt seit Wochen zu reden. Es wird viel aus verschiedenen Standpunkten geschrieben über Geschichte und Potential der Aufschüttung neben dem Zürcher Hauptbahnhof. Der Abbruch selber, vor allem aber die Idee des neuen Parks, stösst dabei auf grossen Widerstand. Ich teile die Meinung, dass ein „Ersatz durch Nichts“ keine adäquate Strategie für den zentralen, geschichtsträchtigen Ort. Ich möchte die Diskussion als Anlass, für eine ganz grundlegenden, kritische Betrachtung unseres Verständnisses des öffentlichen Raumes nehmen. Die Frage nach der Nutzung dieses für Zürich wichtigen, in seiner Zukunft noch undefinierten Ortes, wird zur exemplarischen Frage nach der gesellschaftlichen Rolle des Stadtraumes.
Die Idee des Parks scheint, aus der Nähe betrachtet, erstmal verführerisch und durchaus naheliegend. Die Ausrichtung zur Limmat und zur Sonne passen; die stattlichen Häuser im Rücken vermögen, auch wenn sie bekanntermassen nie dafür vorgesehen waren, den Stadtkörper abzuschliessen; die Aussicht auf das Niederdorf auf der andern Flussseite könnte pittoresker kaum sein. Öffnet man die Perspektive ein wenig und betrachtet das Vorhaben mit Abstand - quasi vor dem Hintergrund unserer Gesellschaft - stellt sich ein dumpfes Unbehagen ein. Entspricht es tatsächlich unserer Vorstellung von Stadt, sich in der Erneuerung immer weiter dem Komfort zuzuwenden? Direkt am Hauptbahnhof, zwischen Beatenplatz und Platzspitz, an der Schnittstelle zwischen Shoppingmeile, Altstadt und dem Weg zur Polybahn (und somit zur Universität) gelegen, könnte sich der Ort ein viel mutigeres Selbstverständnis leisten. Betrachten wir Städtebau und Architektur als Baukultur und nicht als Service public, wird es gar zur impliziten Pflicht dieser Orte, Impulse zu setzen, gesellschaftliche Tendenzen kritisch zu hinterfragen respektive räumliche Beiträge zur entsprechenden Auseinandersetzung zu leisten. Die transformatorische Kraft der Kultur verpflichtet sie, Fragen zu stellen.
Wir befinden uns (je nach Auffassung) am Anfang der vierten oder in der zweiten Halbzeit der dritten industriellen Revolution. Während die Industrialisierung Qualität und Fortschritt in der Rationalisierung der Produktion suchte, wendet sich unsere spätmoderne Gesellschaft dem Singulären zu. Dinge wollen nicht mehr a priori immer einfacher, sondern möglichst präzise und spezifisch den ermittelten Bedürfnissen folgend, produziert werden. Es gelten keine Idealbilder mehr sondern situativ bestimmte, individuelle aber klar definierte Zielsetzungen. So gibt es auch eine klare Tendenz zum streng ergebnisorientierten, nach bekannten Prinzipien und Vergleichswerten suchenden Diskurs zu beobachten. Oft werden die nicht dekonstruier- und messbaren Faktoren ausgeblendet und damit - selbst in bester Absicht - die unübersehbare Vielfalt und all die Widersprüchlichkeiten wie sie zum Wesen der Kunst und der realen Erfahrung gehören unterschlagen . Stadt als räumliches Prinzip versucht indes Nutzungen und Funktionen räumlich zu organisieren: Sie trennt das Private vom Öffentlichen; sie setzt Orte in ein Verhältnis zueinander; sie ordnet eine Vielzahl von unabhängigen Strukturen zu einem grossen Ganzen. Nimmt ein Ort Form an, so schliesst dies andere ebenfalls mögliche Formen aus. Wird ein wichtiger, zentraler Ort neu programmiert, so ist dies ein Bekenntnis der Stadt zu einem bestimmten Selbstbild.
Stadt organisiert aber nicht nur, sie konfrontiert auch: Sie ist dicht, provoziert Erlebnisse, ist nie vollständig kontrollierbar und bietet Reibungsflächen - Stadt inspiriert. Genau diese schwer fassbare Qualität der Stadt war es schon immer, welche sie zum Zentrum der kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung machte. Genau da sollte unserer Diskussion des Raumes ansetzen. Unsere spätmoderne Gesellschaft hat verlernt die Reibungsflächen genauso zu schätzen wie das reibungslose Funktionieren; der Idee genauso zu vertrauen wie dem Beispiel. Im fortlaufenden Prozess der steten Optimierung werden Herausforderungen eliminiert und Zuverlässigkeit institutionalisiert. Stellt man die in Film, Literatur oder Kunst transportierten Sehnsuchtsbilder unserer Zeit denen der letzten fünfzig Jahre gegenüber, verdeutlicht sich diese Tendenz weiter: Die Faszination des Ungewissen, der Herausforderung und der realen Erfahrungen ist einer zuverlässigen Formalisierung des Komforts gewichen . Städte sind heute leistungsfähiger, sicherer und fairer denn je zuvor. Doch obwohl wir stets um Nachhaltigkeit bemüht sind, ging dabei ein Grossteil des Vertrauen in die Ungewissheit - und damit quasi das Vertrauen in die Zukunft an sich - verloren. Baukultur kann nicht die Probleme unserer Gesellschaft lösen, steht aber dennoch in der Verantwortung. Es gilt dieses Vertrauen mit Mut, Selbstbewusstsein und einer Prise Kühnheit zurückzuerobern. Stadt ist gebaute Umwelt, gibt die Werte und Bedürfnisse der Gesellschaft wieder und formt diese in steter Wechselwirkung neu . Wird die Programmierung eines zentralen, städtischen Ortes diskutiert, so gilt es also nicht nur seiner volumetrische, städtebaulichen Rolle zu ergründen, sondern auch seine Bedeutung. Wenn es darum geht, was wir in Zukunft im Zentrum unserer Stadt und unseres Lebensraumes wollen, würde ich nicht nichts wollen - sondern alles.
Publiziert auf Werk Bauen + Wohnen online, 8.5.2018
Im Bild zu sehen :
(von oben links nach unten rechts)
Nasa International Spacestation Project
MFO Park Zurich Oerlikon, Burckhardt Partner & Raderschall
Serverfarm Santa Clara, Facebook
(Everything, Illustration)
Hotel Fukuoka, Aldo Rossi
Hotel Waldorf New York City, Henri J. Hardenbergh
Andreas Feininger - Fotografie einer Hochhausbaustelle, 1963
Centre Pompidou Paris, Richard Rogers
Campus Brugg-Windisch, Fritz Haller
(Fotografien olympischer Athleten, Leni Riefenstahl, 1938)
(Altes Letzigrundstadion Zürich, William Dunkel, 1957)
Nationalgalerie Berlin, Mies van der Rohe
(Thomas Couture - Die Dekadenz der Römer, 1847)
(Jean Francois de Troy - Das Austernfrühstück, 1735)
(Theodore Gericault - Floss der Mesua, 1819)
(What If, Illustration)
(Cloud Gate Chicago, Anish Kapoor, 2004)
Säulen Tempel des Saturns Rom, 498 v.Chr.
(Forum Hotel Investment Community, 2017)
Bauhaus Dessau, Walter Gropius
(Sisyphos mit Stein, unbekannte Illustration)
Sitzstufen in weissem Marmor und Struktur, Illustration
(Ölmalerei Zürichs Limmat und Polytechnikum, R.Dikenmann, 1890)
(Baukräne, unbekannte Fotografie)
(Alpenpanorama, unbekannte Fotografie)
(Sonnenbadende in Shanghai, unbekannte Fotografie)
Cafe Du Nord Zürich, unbekannte Fotografie
(DeLorean DMC12, Fotografie aus Verkaufsprospekt, 1981)
(Frau aus „Frau vor Sonnenaufgang“, Caspar David Friedrich, 1818)
(Mann aus „Wanderer über der See“, Caspar David Friedrich, 1818)
Continuous Monument, Superstudio, 1969